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Die 6 Bildungsfelder im Naturkindergarten: Ganzheitliche Förderung in der Praxis

„Jedes Kind muss die Welt neu erfinden.“
Donata Elschenbroich

Jede Kindertageseinrichtung in Deutschland hat einen klaren Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag, der in den landesspezifischen Bildungsplänen durch sogenannte Bildungs- oder Entwicklungsfelder konkretisiert wird. Die pädagogische Arbeit in Naturkindergärten orientiert sich an diesen, in der Regel sechs zentralen Bildungsfeldern, um eine ganzheitliche Entwicklung der Kinder zu gewährleisten.

Dieser Artikel zeigt, wie diese sechs Felder im einzigartigen Umfeld der Natur ganzheitlich und spielerisch mit Leben gefüllt werden.


Die 6 Bildungsfelder im Überblick

Die Natur bietet den idealen Raum, um alle sechs Kernbereiche der kindlichen Entwicklung gleichzeitig und auf authentische Weise zu fördern.

Körper

Bewegung, Gesundheit und ein positives Körpergefühl durch natürliche Herausforderungen.

Sinne

Die Welt “begreifen” durch Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken im Wald und am Bach.

Sprache

Kommunizieren, Verstehen und die eigene Fantasie ausdrücken – angeregt durch die Natur.

Denken

Logik, MINT-Phänomene und kreative Problemlösungen entdecken – direkt in der Natur.

Gefühl & Mitgefühl

Eigene Gefühle verstehen und achtsam mit anderen umgehen – gestärkt durch gemeinsame Erlebnisse.

Sinn, Werte & Religion

Respekt, Staunen und die eigene Rolle in der Welt finden – inspiriert durch die Naturkreisläufe.

Die folgende Mindmap visualisiert, wie diese Felder vom Kind ausgehen und in der Naturpädagogik mit konkreten Erlebnissen gefüllt werden.

mindmap
  root((Das Kind))
    Körper, Gesundheit & Bewegung
      Klettern, Balancieren
      Wetterfühligkeit spüren
      Gesundes Vesper
    Sprache & Kommunikation
      Geschichten am Lagerfeuer
      Naturgeräusche benennen
      Diskutieren beim Hüttenbau
    Soziale & kulturelle Welt
      Gemeinschaftsregeln aushandeln
      Konflikte lösen
      Jahreszeitenfeste feiern
    Ästhetische Bildung & Kreativität
      Land-Art mit Naturmaterialien
      Singen im Wald
      Werken mit Holz
    Mathematik & Naturwissenschaft
      Zapfen zählen, Äste messen
      Tierspuren untersuchen
      Wetter beobachten
    Ethik & Religion
      Achtsamer Umgang mit Pflanzen & Tieren
      Staunen über die Natur
      Fragen nach Werden & Vergehen

Die Bildungsfelder in der Praxis des Naturkindergartens

1. Körper: Die Welt mit allen Gliedern erobern

Altersdifferenzierte Umsetzung:

  • 3-4-Jährige: Einfache Balancierübungen auf flachen Baumstämmen, Sammeln und Sortieren von Eicheln.
  • 5-6-Jährige: Anspruchsvolle Kletterrouten an Bäumen meistern, selbstständiges Schnitzen unter 1:1-Anleitung.

Pädagogische Umsetzung im Naturraum: Statt auf ebenen Turnhallenböden fordert die Natur den Körper permanent auf vielfältige Weise heraus. Das Laufen über unebene Waldwege, das Balancieren auf Baumstämmen und das Klettern auf knorrige Bäume schulen Gleichgewichtssinn, Kraft und Körperbeherrschung. Die ständige Bewegung an der frischen Luft stärkt nachweislich das Immunsystem.

2. Sinne: Die Welt buchstäblich “begreifen”

Altersdifferenzierte Umsetzung:

  • 3-4-Jährige: Einfache Sinneserfahrungen wie das Fühlen unterschiedlicher Oberflächen (Rinde, Moos, Stein).
  • 5-6-Jährige: Komplexe Sinnesvergleiche wie das Erkennen von Vogelstimmen oder das Beschreiben feiner Geruchsunterschiede.

Pädagogische Umsetzung im Naturraum: Die Natur ist eine Symphonie für die Sinne. Kinder fühlen raue Rinde und weiches Moos, riechen feuchte Erde und Harz, hören das Rascheln von Blättern und das Zwitschern von Vögeln und sehen kleinste Details wie eine Käferspur.

3. Sprache: Der Schlüssel zur Welt

Altersdifferenzierte Umsetzung:

  • 3-4-Jährige: Einfache Benennung von Naturgegenständen (“Stock”, “Blatt”).
  • 5-6-Jährige: Komplexe Erzählungen von Erlebnissen, Nutzung von Fachbegriffen (z.B. “Spechthöhle”, “Laubfrosch”).

Pädagogische Umsetzung im Naturraum: Da es kaum vorgefertigtes Spielzeug gibt, schafft die Natur unzählige Sprachanlässe. Die Kinder müssen aushandeln, was ein Stock im Spiel gerade ist, beschreiben ihre Entdeckungen und erweitern spielerisch ihren Wortschatz.

4. Denken: Die Welt verstehen (MINT)

Altersdifferenzierte Umsetzung:

  • 3-4-Jährige: Einfache Sortieraufgaben (groß/klein), Beobachten von Wetterphänomenen.
  • 5-6-Jährige: Komplexere Experimente, Erkennen und Zuordnen von Tierfährten.

Pädagogische Umsetzung im Naturraum: Der Wald ist das größte Forschungslabor. Kinder sortieren Steine (Mathematik), bauen Staudämme am Bach (Physik), beobachten den Lebenszyklus eines Schmetterlings (Biologie) und müssen beim Hüttenbau kreative Lösungen finden (Technik).

5. Gefühl & Mitgefühl: Das soziale Fundament

Altersdifferenzierte Umsetzung:

  • 3-4-Jährige: Einfache Emotionsbenennung (“Ich bin traurig”), erste Hilfsangebote (“Soll ich dir helfen?”).
  • 5-6-Jährige: Komplexe Konfliktlösungen aushandeln, bewusste Unterstützung von jüngeren Kindern.

Pädagogische Umsetzung im Naturraum: Das Meistern echter Herausforderungen stärkt die Resilienz. Beim gemeinsamen Hüttenbau lernen Kinder, aufeinander zu achten und zu kooperieren. Eine zentrale Rolle spielt hier die Partizipation: In Kinderkonferenzen lernen die Kinder, ihre Meinung zu äußern und gemeinsam faire Regeln auszuhandeln.

6. Sinn, Werte & Religion: Die großen Fragen des Lebens

Altersdifferenzierte Umsetzung:

  • 3-4-Jährige: Einfache Rituale wie das Danken vor dem Essen, Staunen über einen Regenbogen.
  • 5-6-Jährige: Vertiefte Gespräche über den Kreislauf von Werden und Vergehen.

Pädagogische Umsetzung im Naturraum: Der Naturkindergarten ist ein nicht-konfessioneller Ort, der tiefgreifende ethische Erfahrungen ermöglicht. Kinder beobachten den Kreislauf von Werden und Vergehen direkt in der Natur. Der achtsame Umgang mit Pflanzen und Tieren vermittelt einen grundlegenden Respekt vor dem Leben und die Verantwortung für die Umwelt (Nachhaltigkeit).


Fazit: Eine ganzheitliche und zukunftsfähige Pädagogik

Eine gute naturpädagogische Konzeption beweist eindrücklich, wie die sechs klassischen Bildungsfelder im Alltag ganzheitlich umgesetzt werden.

Darüber hinaus zeigt sie ihre Zukunftsfähigkeit, indem sie hochaktuelle Themen wie Demokratieerziehung und Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht als separate Add-ons, sondern als fundamentalen Bestandteil der gelebten Pädagogik in den Feldern “Gefühl & Mitgefühl” und “Sinn, Werte & Religion” verankert. Dies schafft eine kraftvolle Grundlage für die Entwicklung verantwortungsbewusster und selbstbestimmter Persönlichkeiten.


Letzte Aktualisierung: 09. September 2025