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Konfliktlösung in der Kita: Praxis-Methoden der Mediation

Konflikte sind ein normaler, unvermeidbarer und vor allem wichtiger Teil der kindlichen Entwicklung. Sie sind keine Störungen im Alltag, sondern wertvolle Lernchancen. Unsere Aufgabe als pädagogische Fachkräfte ist es nicht, Streit zu unterbinden oder als Richter zu entscheiden, wer “Recht” hat. Stattdessen begleiten wir Kinder als Mediatoren: Wir schaffen den Rahmen, in dem sie lernen, ihre eigenen, fairen Lösungen zu finden.

Diese Haltung ist ein fundamentaler Baustein, um die Selbstwirksamkeit, Empathie und soziale Kompetenz der Kinder nachhaltig zu stärken. Wir befähigen sie für das Leben, anstatt nur eine Situation zu beenden.


Die 6 Phasen der mediativen Konfliktbegleitung

Die Mediation folgt einem klaren, strukturierten Ablauf. Ziel ist es, von der Eskalation zur kooperativen Lösung zu gelangen und den Konflikt als Lernchance zu nutzen.

graph TD
    A["Konflikt beginnt"] --> B["`**1. Beruhigen & Rahmen schaffen**  
    (z.B. trennen, trösten)`"];
    B --> C["`**2. Perspektiven anhören**`"];
    C --> D["`**3. Gefühle & Bedürfnisse klären**
       ('**Ich** bin wütend, weil...')`"];
    D --> E["`**4. Lösungen sammeln**
       (Brainstorming)`"];
    E --> F["`**5. Vereinbarung treffen**
       ('Wir einigen uns auf...')
       (z.B. abwechseln, zusammen spielen)`"];
    F --> G["`**6. Positiver Abschluss**
       (Händedruck, Lob, Wiedergutmachung)`"];
    G --> H["Konflikt konstruktiv gelöst"];
  1. Beruhigen & Rahmen schaffen (Deeskalation)
    Die akute Situation entschärfen. “Stopp! Wir schauen uns das in Ruhe an.” Den Kindern Raum und Zeit geben, um durchzuatmen, und Regeln für das Gespräch klären (“Jeder darf ausreden”).

  2. Perspektiven anhören (Jeder wird gehört)
    Jedes Kind darf seine Sicht der Dinge ohne Unterbrechung schildern. Die Fachkraft sorgt für einen geschützten Rahmen und aktives Zuhören.

  3. Gefühle & Bedürfnisse klären (Ich-Botschaften)
    Das Herzstück. Die Fachkraft hilft den Kindern, ihre Emotionen und die dahinterliegenden Bedürfnisse in Ich-Botschaften zu formulieren. Statt “Du hast…” wird “Ich bin traurig, weil…” geübt.

  4. Lösungen sammeln (Kreatives Brainstorming)
    Die Fachkraft fragt: “Was könntet ihr jetzt tun, damit es für euch beide wieder gut ist?” Alle Ideen der Kinder werden ohne Bewertung gesammelt.

  5. Vereinbarung treffen & Ausprobieren
    Die Kinder einigen sich auf eine faire Lösung. Die Fachkraft bestärkt sie und fasst die Vereinbarung zusammen: “Okay, ihr habt abgemacht, dass ihr jetzt abwechselnd die Schaufel benutzt.”

  6. Positiver Abschluss (Wertschätzung)
    Der Prozess wird bewusst positiv beendet. Ein Händedruck, ein gegenseitiges Lob (“Gut, dass wir eine Lösung gefunden haben!”) oder ein anerkennendes Wort der Fachkraft festigen das Erfolgserlebnis.


Das wichtigste Werkzeug: Die Ich-Botschaft

Weg von Du-Vorwürfen, hin zum eigenen Gefühl

Der entscheidende Schritt zur Deeskalation und zum gegenseitigen Verständnis ist der Wechsel von anklagenden Du-Vorwürfen (in der Fachsprache auch „Du-Botschaften“ genannt) zu beschreibenden Ich-Botschaften. Anstatt den anderen anzugreifen, lernt das Kind, über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen.

Von der Anklage zum Wunsch: Ich-Botschaften formulieren

Anklagende “Du-Botschaft”Lösungs-orientierte “Ich-Botschaft"
"Du hast mir alles kaputt gemacht!""Ich bin traurig, weil meine Sandburg jetzt kaputt ist."
"Gib das sofort her, das ist meins!""Ich möchte jetzt bitte mit dem roten Eimer spielen."
"Du bist doof, du darfst nicht mitspielen!""Ich fühle mich ausgeschlossen und möchte gerne mitmachen.”

Als Mediator helfen wir den Kindern aktiv bei der Umformulierung ihrer Anliegen.


Für die Großen: Der nächste Schritt zur Peer-Mediation

Während die Fachkraft zunächst als Mediator agiert, ist das langfristige Ziel, die Kinder zur Selbsthilfe zu befähigen. Hier setzt das Konzept der Peer-Mediation an, bei dem Kinder lernen, Konflikte für andere Kinder zu moderieren.

Peer-Mediation im Kindergarten ('Streithelfer')

Für ältere Vorschulkinder kann die Einführung von “Streithelfern” ein wertvoller nächster Schritt sein. Ausgebildete Kinder übernehmen dabei eine aktive Rolle und führen ihre Altersgenossen durch einen vereinfachten Prozess. Die pädagogische Forschung und Praxis zeigen, dass Peer-Mediation nicht nur Konflikte reduzieren, sondern auch das Verantwortungsbewusstsein und den sozialen Status der Mediatoren-Kinder stärken kann.

Beispiel in Aktion: Streithelfer Tim (5) sieht, wie Lina weint. Er geht hin und sagt: “Ich sehe, du bist traurig. Kann ich dir helfen, mit Tom zu reden?”


Die besondere Rolle der Natur bei der Konfliktlösung

Der Naturraum bietet einzigartige Bedingungen, die eine mediative Haltung unterstützen:


Was Kinder durch begleitete Konflikte fürs Leben lernen

  • Ihre eigenen Gefühle und die der anderen wahrzunehmen (Empathie).
  • Für ihre Bedürfnisse einzustehen, ohne andere zu verletzen.
  • Dass ihre Meinung wichtig ist und gehört wird (Wertschätzung).
  • Selbstständig Probleme zu lösen (Selbstwirksamkeit).
  • Dass Beziehungen auch nach einem Streit wieder repariert werden können (Resilienz).

Die Rolle als Mediator ist eine Investition in die charakterliche und soziale Entwicklung jedes einzelnen Kindes.


Quelle und weiterführende Literatur

Buchtipp & Bezugsquellen

Gordon, T. (2022). Familienkonferenz: Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind. Heyne Verlag.

Ein Standardwerk der gewaltfreien Kommunikation und die Grundlage für das hier beschriebene Modell der Ich-Botschaften. Ein Muss für jede pädagogische Bibliothek.


Letzte Aktualisierung: 11. September 2025