Als Erzieher im Naturkindergarten bewegen Sie sich täglich in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite steht die gesetzliche Aufsichtspflicht und der Wunsch der Eltern nach absoluter Sicherheit. Auf der anderen Seite steht die pädagogische Notwendigkeit, Kindern Freiräume für eigene Erfahrungen zu geben – und dazu gehören auch kalkulierte Wagnisse.
Die Entwicklung von Risikokompetenz ist ein zentrales Bildungsziel. Kinder, die lernen, Herausforderungen einzuschätzen, ihre eigenen Grenzen zu spüren und mit Misserfolgen umzugehen, wachsen zu selbstbewussten und resilienten Persönlichkeiten heran. Eine “in Watte gepackte” Kindheit verhindert diese wichtigen Lernprozesse.
Merke: Unser Ziel ist nicht, alle Risiken zu eliminieren, sondern einen sicheren Rahmen zu schaffen, in dem Kinder lernen können, mit Risiken umzugehen.
Was ist der Unterschied zwischen Risiko und Gefahr?
Eine klare Unterscheidung ist für Ihre tägliche Arbeit entscheidend:
graph LR
subgraph "Gefahr vs. Risiko"
%% Rote Reihe (Gefahr)
A["**Gefahr**
Potenzial für ernsthaften Schaden.
Für das Kind NICHT erkennbar
oder NICHT beherrschbar."]
C["**Ihre Aufgabe:**
Beseitigen oder
unzugänglich machen"]
%% Blaue Reihe (Risiko)
B["**Risiko / Wagnis**
Herausforderung ist für das Kind erkennbar.
Mit den eigenen Fähigkeiten
potenziell zu bewältigen."]
D["**Ihre Aufgabe:**
Ermöglichen,
begleiten & ermutigen"]
end
%% Logische Verbindungen definieren (jeweils eine horizontale Linie)
A -- "führt zu" --> C
B -- "führt zu" --> D
%% Styling, um die Konzepte klar zu trennen
style A fill:#ffe6e6,stroke:#c00
style C fill:#ffe6e6,stroke:#c00
style B fill:#e6f2ff,stroke:#005c99
style D fill:#e6f2ff,stroke:#005c99
Gefahr
Eine Situation, deren Potenzial für ernsthaften Schaden für das Kind nicht erkennbar oder nicht beherrschbar ist.
- Beispiele: Eine ungesicherte Straße, giftige Pflanzen, morsche Kletteräste, eine tiefe Wasserstelle.
- Ihre Aufgabe: Gefahren müssen von Ihnen als Fachkraft erkannt und beseitigt oder unzugänglich gemacht werden.
Risiko / Wagnis
Eine Situation, deren Herausforderung vom Kind eingeschätzt und mit seinen Fähigkeiten bewältigt werden kann. Ein Scheitern hat keine gravierenden Folgen.
- Beispiele: Auf einen niedrigen Baumstamm balancieren, einen matschigen Hügel hinunterrutschen, mit Stöcken bauen.
- Ihre Aufgabe: Risiken ermöglichen, die Kinder begleiten und ermutigen, es selbst zu probieren.
Praktische Tipps zur Förderung von Risikokompetenz
- Vertrauen Sie den Kindern: Gehen Sie davon aus, dass Kinder grundsätzlich fähig sind, ihre Umwelt zu meistern. Beobachten Sie, anstatt sofort einzugreifen.
- Stellen Sie offene Fragen: Anstatt “Pass auf, dass du nicht fällst!”, fragen Sie: “Fühlt sich der Ast stabil an? Wie kommst du wieder sicher herunter?”
- Schaffen Sie herausfordernde, aber sichere Umgebungen:
- Bieten Sie unterschiedliche Untergründe an (Wurzeln, Steine, weicher Boden).
- Ermöglichen Sie Klettermöglichkeiten in geringer Höhe.
- Stellen Sie “loses Material” wie Äste, Bretter und Seile zur Verfügung.
- Loben Sie den Prozess, nicht nur das Ergebnis: Würdigen Sie den Mut, es versucht zu haben – auch wenn das Kind es nicht bis ganz nach oben geschafft hat.
- Sprechen Sie im Team über Risiken: Führen Sie regelmäßige Gefährdungsbeurteilungen durch und legen Sie gemeinsam fest, welche Risiken Sie zulassen wollen und wo die Grenzen sind.
- Kommunizieren Sie mit den Eltern: Erklären Sie in Elternabenden oder Gesprächen proaktiv Ihr pädagogisches Konzept der Risikobildung. Zeigen Sie auf, welche Kompetenzen die Kinder dadurch erwerben. Das schafft Vertrauen und Verständnis.
Indem Sie Kindern erlauben, ihre eigenen Grenzen auszutesten, schenken Sie ihnen das größte Geschenk: Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Letzte Aktualisierung: 15. Oktober 2025