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Standortrisiko Hochspannungsmast: Ein Leitfaden für Kita-Träger

Die sensible Frage: Ein Kindergarten in der Nähe von Hochspannungsmasten?

Die Nähe zu Hochspannungsmasten ist eines der heikelsten Themen bei der Standortwahl für eine Naturkita. Oft ist das perfekte Grundstück verfügbar, liegt aber unter oder nahe einer Leitung. Dies führt zu einer komplexen Debatte: Setzt man Kinder einem unnötigen Risiko aus?

Dieser Leitfaden beleuchtet die Argumente für und gegen einen solchen Standort. Wir stützen uns dabei auf die Bewertungen internationaler Gesundheitsorganisationen (WHO), Krebsforschungsagenturen (IARC) und die offiziellen Empfehlungen des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), um Ihnen eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu bieten.


Die Argumente der Vorsorge (Contra-Seite)

Diese Argumente basieren auf dem Vorsorgeprinzip: Auch wenn ein Beweis fehlt, rechtfertigt der wissenschaftliche Verdacht besondere Schutzmaßnahmen für Kinder.

Klassifizierung als “möglicherweise krebserregend” (IARC Gruppe 2B)

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO stuft niederfrequente Magnetfelder als “möglicherweise krebserregend für den Menschen” ein.

  • Wissenschaftliche Grundlage: Diese Einstufung beruht auf epidemiologischen Studien, die eine konsistente statistische Assoziation zwischen einer langfristigen Magnetfeldexposition von über 0,3 bis 0,4 Mikrotesla (µT) und einem verdoppelten Risiko für Kinderleukämie zeigten.
  • Das Argument: Auch wenn Kausalität nicht bewiesen ist, reicht der statistische Verdacht, um nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln. An Orten, an denen sich Kinder täglich über Stunden aufhalten, sollte ein solches Risiko vermieden werden.

Kinder als besonders schutzbedürftige Gruppe

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Ihr Organismus in Entwicklung, die höhere Zellteilungsrate und das reifende Immunsystem machen sie potenziell anfälliger für schädliche Umwelteinflüsse.

  • Das Argument: Selbst wenn Risiken für Erwachsene als vernachlässigbar gelten, könnten sie für Kinder relevant sein. Der Schutz von Kindern muss oberste Priorität haben.

Psychologischer Stress und gesellschaftliche Akzeptanz

Unabhängig von der wissenschaftlichen Gefahr kann allein die Präsenz eines Hochspannungsmasten zu Sorgen bei Eltern und Personal führen.

  • Das Argument: Dieser Stress (“Nocebo-Effekt”) ist ebenfalls eine Gesundheitsbelastung. Ein Kindergarten an einem solchen Standort könnte zudem Schwierigkeiten bei der Akquise von Kindern und Personal bekommen, was die Wirtschaftlichkeit gefährdet.

Die wissenschaftliche Faktenlage (Pro-Seite)

Diese Argumente stützen sich auf das Fehlen eines nachgewiesenen Wirkmechanismus und die Einhaltung strenger gesetzlicher Grenzwerte.

Kein nachgewiesener Kausalzusammenhang

Der Leitsatz lautet: “Korrelation ist nicht Kausalität.”

  • Wissenschaftlicher Stand: Bis heute konnte kein biophysikalischer Mechanismus identifiziert werden, der erklärt, wie solch schwache Magnetfelder Leukämie auslösen könnten. Die Energie der Felder ist zu gering, um DNA direkt zu schädigen.
  • Tierversuche: Umfangreiche Tierstudien konnten den Leukämie-Verdacht nicht bestätigen.
  • Das Argument: Solange kein Wirkmechanismus bekannt ist, bleibt der Zusammenhang ein statistisches Phänomen, das auch durch andere, unbekannte Faktoren verursacht sein könnte.

Praktische und ökonomische Erwägungen

Besonders in dicht besiedelten Gebieten sind geeignete Grundstücke für Kitas rar. Manchmal ist ein Grundstück nahe einer Leitung die einzige verfügbare Option.

  • Das Argument: Der nachweisbare gesellschaftliche Nutzen (Schaffung von Betreuungsplätzen) muss gegen ein theoretisches, unbewiesenes Risiko abgewogen werden.

Fazit: Eine Abwägung zwischen Vorsorge und Rechtssicherheit

Die Situation stellt ein klassisches Dilemma für Träger dar. Diese Abwägung ist nicht nur eine Frage der elterlichen Sorge, sondern auch ein zentraler Bestandteil der offiziellen Umweltverträglichkeitsprüfung in Deutschland. Die Leitlinien der UVP-Gesellschaft stufen Kindergärten explizit als “besonders schutzwürdige Nutzung” ein, bei der das Vorsorgeprinzip eine wesentliche Rolle spielt.

Die Kernpunkte des Dilemmas sind:

  • Auf der einen Seite: Ein schwacher, aber statistisch auffälliger Zusammenhang, der zur IARC-Einstufung und zur klaren Vorsorge-Empfehlung des Bundesamtes für Strahlenschutz geführt hat.
  • Auf der anderen Seite: Das Fehlen eines wissenschaftlichen Beweises für die Ursache und die Einhaltung aller gesetzlichen Grenzwerte, die den Standort rechtlich unbedenklich machen.

Unsere Empfehlung für Träger und Gründer: Folgen Sie dem Vorsorgeprinzip. Die Gesundheit der anvertrauten Kinder muss immer die höchste Priorität haben. Die offizielle Empfehlung des BfS bietet eine klare und verantwortungsvolle Handlungsgrundlage.

Wo immer es eine Alternative gibt, sollte ein Standort in unmittelbarer Nähe von Hochspannungsleitungen für einen Kindergarten vermieden werden. Die potenziellen Risiken, die Sorgen der Eltern und die gesellschaftliche Debatte wiegen schwerer als die praktischen Vorteile eines solchen Standorts.


Die Frage nach dem “sicheren” Abstand

Eine der häufigsten Fragen ist: “Wie viele Meter Abstand sind denn nun sicher?”

Hier ist die Antwort des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) klar: Es gibt keinen gesetzlich festgelegten Mindestabstand und auch keine pauschale Abstandsempfehlung in Metern. Stattdessen gilt das gesetzlich verankerte Minimierungsgebot, das über die reinen Grenzwerte hinausgeht.

Dieser Grundsatz der aktiven Minimierung ist die offizielle Leitlinie und unterstreicht die Bedeutung des Vorsorgeprinzips, insbesondere an sensiblen Orten wie Kindergärten.


Handlungsempfehlung für den Ausnahmefall

Sollte ein solcher Standort die einzige realistische Option sein, empfehlen wir folgendes Vorgehen nach dem Prinzip “Minimieren & Kommunizieren”:

  1. Unabhängige Messung beauftragen: Lassen Sie von einem zertifizierten Techniker die tatsächliche Magnetfeldexposition auf dem Gelände messen. Verlassen Sie sich nicht auf Schätzungen, sondern auf Fakten.
  2. Exposition minimieren: Platzieren Sie den Schutzraum und die Haupt-Spielbereiche (z.B. Sandkasten) an den Stellen mit der nachweislich geringsten Belastung.
  3. Transparente Kommunikation: Legen Sie die Messergebnisse und alle wissenschaftlichen Fakten (Pro & Contra) proaktiv und transparent den Eltern und der Gemeinde vor.
  4. Einverständnis einholen: Holen Sie von den Eltern eine schriftliche Bestätigung ein, dass sie über die Standort-Situation und die Empfehlung des BfS aufgeklärt wurden.

Kontakt und Beratung

Die Standortwahl ist eine komplexe Entscheidung. Wenn Sie Unterstützung benötigen, kontaktieren Sie uns gerne.


Letzte Aktualisierung: 23. August 2025