So gelingt die Eingewöhnung im Naturkindergarten: Ein Leitfaden für Eltern
“Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.”
(Johann Wolfgang von Goethe, zugeschrieben)
Begründung: Dieses Zitat beschreibt perfekt den Kern der Eingewöhnung. Die “Wurzeln” sind die sichere, liebevolle Bindung zu Ihnen als Eltern – die Basis, von der aus Ihr Kind die Welt erkundet. Die “Flügel” sind der Mut und das Vertrauen, das es braucht, um sich in die neue Umgebung des (Natur-)Kindergartens zu wagen, neue Beziehungen zu knüpfen und über sich hinauszuwachsen. Ihre Aufgabe in dieser Phase ist es, die Wurzeln zu festigen, damit die Flügel wachsen können.
Die Eingewöhnung: Eine gemeinsame Reise in einen neuen Lebensabschnitt
Der Start im Kindergarten ist ein großer Meilenstein – für Ihr Kind und für Sie. Es ist eine Zeit voller Aufregung, Neugier, aber oft auch Unsicherheit. Die Eingewöhnung ist der bewusste und liebevolle Prozess, in dem Ihr Kind eine vertrauensvolle Beziehung zur Bezugserzieher:in und zur neuen Umgebung aufbaut. Sie ist keine Prüfung, sondern eine gemeinsame Reise, die wir Schritt für Schritt gehen.
Die meisten Kitas, auch Natur- und Waldkindergärten, orientieren sich am bewährten “Berliner Eingewöhnungsmodell”. Dieses Modell stellt die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt und sorgt dafür, dass der Übergang so sanft und sicher wie möglich gestaltet wird. Auf dieser Seite erklären wir Ihnen die einzelnen Phasen und geben Ihnen wertvolle Tipps, wie Sie Ihr Kind am besten unterstützen können.
Die Phasen der Eingewöhnung im Überblick:
- Die Vorbereitung: Was Sie schon vor dem ersten Tag tun können.
- Der Ablauf nach dem Berliner Modell: Die Schritte zur sicheren Bindung.
- Das große Thema: Der Umgang mit Tränen beim Abschied.
- Ihre wichtigste Rolle: Die besten Tipps für eine starke Begleitung.
Praxisleitfaden für Eltern: Die Eingewöhnung im Detail
Hier finden Sie eine detaillierte Ausarbeitung der einzelnen Phasen mit konkreten Tipps, speziell zugeschnitten auf die Besonderheiten eines Naturkindergartens.
Phase 1: Die Vorbereitung – Gemeinsam stark in den Start
Eine gute Vorbereitung nimmt Ängste und weckt die Vorfreude.
- Positive Sprache: Sprechen Sie voller Vorfreude über den Kindergarten. Erzählen Sie von den tollen Dingen, die man im Wald entdecken kann, vom Matschen, Klettern und den anderen Kindern. Ihre Zuversicht überträgt sich auf Ihr Kind.
- Den Ort vertraut machen: Gehen Sie, wenn möglich, schon vorher am Gelände des Naturkindergartens spazieren. Schauen Sie sich den Bauwagen oder Treffpunkt von außen an. So wird der Ort zu einem bekannten Ziel.
- Bücher lesen: Es gibt wundervolle Bilderbücher über den (Wald-)Kindergartenalltag. Gemeinsames Lesen macht neugierig und zeigt, was Ihr Kind erwarten kann.
- Das “Übergangsobjekt”: Ein Lieblingskuscheltier ist ein Klassiker. Im Naturkindergarten kann es auch ein besonderer “Zauberstein” sein, den Sie gemeinsam suchen und der in der Hosentasche wohnt und Kraft gibt. Er ist ein Stück “Zuhause” in der neuen Welt.
- Routinen anpassen: Gewöhnen Sie Ihr Kind langsam an die Aufsteh- und Essenszeiten der Kita. Üben Sie auch schon mal, die wetterfeste Kleidung anzuziehen, damit es am Morgen entspannter abläuft.
Phase 2: Der Ablauf nach dem Berliner Modell – Schritt für Schritt Sicherheit aufbauen
Die Eingewöhnung dauert in der Regel zwei bis vier Wochen. Sie als Elternteil sind in der ersten Zeit der “sichere Hafen”.
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Die Grundphase (ca. 1-3 Tage)
- Was passiert? Sie kommen gemeinsam mit Ihrem Kind für 1-2 Stunden in die Gruppe. Der “Raum” ist vielleicht ein Bauwagen, ein Tipi oder einfach eine Lichtung im Wald. Sie bleiben die ganze Zeit dabei.
- Ihre Rolle: Sie sind präsent, aber passiv. Setzen Sie sich an den Rand des Geschehens und seien Sie einfach nur da. Ihr Kind darf jederzeit zu Ihnen kommen und auftanken.
- Rolle der Erzieher:in: Die Bezugserzieher:in nähert sich spielerisch dem Kind, macht kleine Angebote (z.B. “Schau mal, was für eine interessante Rinde”), aber drängt sich nicht auf.
- Wichtig: Es findet keine Trennung statt.
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Der erste Trennungsversuch (meist Tag 4)
- Was passiert? Nach einer gemeinsamen Ankunftszeit verabschieden Sie sich klar und liebevoll von Ihrem Kind und verlassen die Gruppe für eine kurze, abgesprochene Zeit (z.B. 15-30 Minuten). Sie bleiben aber in der Nähe und erreichbar.
- Absolut wichtig: Schleichen Sie sich niemals weg! Ein bewusster Abschied (Kuss, Winken, klares Versprechen “Ich komme gleich wieder”) ist essenziell für den Vertrauensaufbau.
- Die Reaktion entscheidet: Lässt sich Ihr Kind nach kurzem Protest von der Erzieher:in trösten und findet ins Spiel, ist das ein wunderbares Zeichen. Die Trennung kann in den nächsten Tagen verlängert werden. Weint es untröstlich, werden Sie sofort zurückgeholt und man festigt die Bindung in den nächsten Tagen weiter, bevor ein neuer Versuch gestartet wird.
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Die Stabilisierungsphase
- Was passiert? Die Trennungszeiten werden nun täglich ausgedehnt. Die Erzieher:in übernimmt immer mehr die Versorgung (Trösten, beim Anziehen helfen, Essen begleiten).
- Integration: Ihr Kind nimmt schrittweise an den Ritualen des Tages teil, wie dem Morgenkreis auf Baumstämmen, dem gemeinsamen Frühstück oder dem Mittagessen im Freien.
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Die Schlussphase
- Was passiert? Sie bleiben nicht mehr in der Einrichtung. Ihr Kind hat eine tragfähige Beziehung zur Erzieher:in aufgebaut, lässt sich von ihr trösten und fühlt sich auch ohne Sie sicher in der Gruppe.
- Die Eingewöhnung ist abgeschlossen! Herzlichen Glückwunsch, Sie haben es als Team geschafft!
Das große Thema: Gehören Tränen beim Abschied dazu?
Ja, absolut. Und das ist oft sogar ein gutes Zeichen!
Tränen zeigen, dass Ihr Kind eine sichere Bindung zu Ihnen hat und gegen die Trennung von seiner wichtigsten Person protestiert. Das ist ein gesundes und normales Verhalten.
Ihre wichtigste Rolle: Wie Sie Ihr Kind am besten unterstützen – Die Top 7 Tipps
- Geduld, Geduld, Geduld: Geben Sie Ihrem Kind (und sich selbst) die Zeit, die es braucht. Jeder Vergleich mit anderen Kindern ist tabu.
- Kurzer & klarer Abschied: Ein festes Abschiedsritual (z.B. ein Kuss, ein fester Drücker und Winken am Waldrand) gibt Sicherheit. Ziehen Sie den Abschied nicht unnötig in die Länge, auch wenn es schwerfällt.
- Verlässlichkeit: Halten Sie Ihre Versprechen. Wenn Sie sagen “Ich hole dich nach dem Mittagessen”, dann seien Sie auch dann da. Das schafft Urvertrauen.
- Die richtige Kleidung: Gerade im Naturkindergarten ist passende Kleidung das A und O für das Wohlbefinden. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind sich frei bewegen kann und vor Wind und Wetter geschützt ist. Ein Kind, das friert oder nass ist, kann sich nicht gut eingewöhnen.
- Kommunikation mit den Erzieher:innen: Sie sind ein Team! Sprechen Sie offen über Ihre Sorgen und fragen Sie nach, wie der Tag für Ihr Kind war. Spezifische Fragen (“Was habt ihr heute gebaut?”) helfen mehr als ein allgemeines “Wie war’s?”.
- Zeit zum Auftanken: Ein Tag im Wald ist aufregend und voller Reize. Planen Sie am Nachmittag bewusst ruhige Zeit zum Kuscheln, Vorlesen und Verarbeiten ein. Erwarten Sie keine Höchstleistungen von Ihrem Kind.
- Vertrauen Sie! Vertrauen Sie in die Fähigkeiten Ihres Kindes, diesen Schritt zu meistern. Und vertrauen Sie auf die Kompetenz der Erzieher:innen. Ihre positive und gelassene Haltung ist die größte Unterstützung, die Sie Ihrem Kind geben können.
Zusammenfassung: Eingewöhnung als gemeinsame Reise
Die Eingewöhnung ist mehr als nur ein organisatorischer Ablauf – sie ist der Grundstein für eine glückliche und unbeschwerte Kindergartenzeit. Indem Sie den Prozess aktiv, geduldig und liebevoll begleiten, geben Sie Ihrem Kind die Sicherheit, die es braucht, um die wunderbare Welt des Naturkindergartens mit all seinen Abenteuern zu erobern.
Haben Sie noch weitere Fragen zur Eingewöhnung oder zum Alltag im Naturkindergarten? Antworten auf viele Fragen finden Sie in unserem FAQ für Eltern.
Letzte Aktualisierung: 09. Juli 2025